Der jährliche Antwerpen-Trip – Gala Nocturna 2011

Schon irgendwie erschreckend wie schnell ein Jahr vergeht, wenn man genauer darüber nachdenkt war die letzte Gala noch garnicht so lange her, und auf einmal steht der nächste Termin, die Hotelzimmer werden eilig gebucht um noch die letzten beiden verfügbaren im Stammhotel zu ergattern, die Karten grade noch so auf den letzten Drücker geordert und bis kurz vor der Abreise Perlen und Nestelschnüre am Gewand festgenäht um es zumindest in einen soweit tragbaren Zustand zu versetzen daß es keinem auffällt daß eigentlich noch gut 2-3000 Perlen fehlen, das Forepart sowie die Ärmel von älteren Kleidern und Projekten stammt und sogar der Kopfputz so alt ist daß er vor 2 Jahren schon einmal in Antwerpen dabei war – wie skandalös!

Die heurige Gala Nocturna ist insgesamt jetzt die fünfte seit 2006. Erstmalig in einer neuen Lokalität – der Augustinuskirche mitten in Antwerpen, und nicht mehr ausserhalb in Kontich wie zuvor.
Die Ankündigung einer neuen Örtlichkeit hatte etwas Bedenken bei mir hervorgerufen, da ich die Kapelle in Kontich sehr schön fand, und ich befürchtete daß der Lokalitätswechsel hauptsächlich deswegen gemacht wurde um die jährlich immer größer werdende Besucheranzahl unterzubekommen. Ich mag keine Massenveranstaltungen, abgesehen vom WGT, doch da findet man ja immer seine Nischen wo man nicht von Menschenmassen erdrückt wird, und gerade wenn man sich ansieht wie unangenehm riesig das letzte „victorianische“ Picknick auf dem WGT wurde, und wie viele Leute sich da rumtrieben die offenbar lediglich zum Posieren gekommen waren, statt um Leute zu treffen und sich einfach nur unter Gleichgesinnten wohl zu fühlen, waren meine Gefühle zur heurigen Gala auch offengestanden sehr gemischt.
Dazu kam noch die Ankündigung eines „Kostüm“-Wettbewerbes, was mir auch eher unangenehm auffiel, wie ich zugeben muss.

Los ging die Reise am Freitag gegen 10.00 Uhr. Nach dem üblichen Taschen-Tetris stellte sich heraus daß unser Gefährt mit drei Insassen und entsprechendem Gepäck gut beladen war und kaum mehr Kapazitäten frei hatte. Der letzte Zwischenstop war dann Supermarkt und Bäcker um sich mit ein wenig Proviant für die gut 6-stündige Autofahrt einzudecken.
Der erste Teil der Strecke verlief problemlos – etwas regnerisch aber sonst ganz gut. Der erste Zwischenstop führte uns zu einem MacDonalds bei dem wir zunächst die sanitären Einrichtungen in Anspruch nahmen um uns danach im Auto, in guter Sichtweite der Drive-In Schalter über den Inhalt unserer beim heimischen Bäcker erworbenen Tüten herzumachen – wenn das nicht Punk ist dann weiß ich auch nicht *frechgrins*
Die restliche Strecke verlief auch im Großen und Ganzen problemlos, auch wenn stellenweise starker Regen die Fahrt behinderte und mehrere Baustellen manche Streckenabschnitte etwas zäh machten, davon abgesehen kamen wir gut durch und auch ganz entspannt an.
Zu meinem Erstaunen lies sich Tanjas Navigationsgerät nicht von Antwerpen abschrecken, sodaß wir auf den Punkt beim Hotel Industrie ankamen, so gegen 18:00 Uhr.
Nach dem Einchecken und Ausladen wurde das Auto auf den Hotelparkplatz verfrachtet, der eigentlich nur ums Eck war, doch die Antwerpener Einbahnstraßen machten die Aktion zu einer kleinen Karusellfahrt ein paar Male um den Block bis wir dann in der richtigen Richtung auf den Parkplatz zusteuerten.

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Die letzten Kilometer vor Antwerpen

Der Abendausklang fand wie jedes Jahr im Elften Gebot statt, das wir nach kurzem Ausruhen und sich-instandsetzen dann gegen 20:00 Uhr zu Fuß erreichten. Das Lokal war bereits gut besucht, und wir fanden ein paar von „uns“ schließlich im Obergeschoß, am gleichen Tisch wie letztes Jahr. Die Runde blieb überschaubar, dafür konnte mans sich auch ganz gut mit Leuten unterhalten die ich zumindest schon sehr lange nicht mehr gesehen habe, bei Pierre und Julia war die letztjährige Gala Nocturna das letzte Zusammentreffen …
Wir blieben jedoch nicht lange, unsere Fahrerin war nicht nur von der Fahrt angeschlagen, auch die „Rüsselseuche“ machte ihr zu schaffen, also wollten wir gegen 23:00 Uhr den Rückweg ins Hotel antreten, besonders nachdem mein zweites uns Chris‘ erstes Glas Wein das wir bestellt hatten einfach nicht bei uns ankommen wollte. Da auch heuer beim Abrechnen wieder ein großes Chaos ausgebrochen war, wunderte es uns kaum daß die zwar bestellten Gläser Wein auf der Rechnung standen obwohl sie nie bei uns ankamen, zum Glück sah die Bedienung das ein.

Der nächste Tag begann mit einem ausgiebigen Frühstück im Hotel. Ein bisschen renoviert wurde das Industrie im Gegensatz zum letzten Jahr, nicht nur die Bäder in den Zimmern wurden modernisiert, auch der Frühstücksraum ist inzwischen ins frühere Foyer umgezogen, die Rezeption zusammengeschrumpft in den Gang gewandert durch den man sonst in den früheren Frühstücksraum gelangte. Und von Bartok, der Hotelkatze leider kein Bild heuer, ich habe ihn zweimal maunzen gehört und bei der Abreise haben wir ihn schlafend auf einem Sofa durch einen Türspalt hinter der Rezeption gesehen – schade irgendwie.

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Das Federvieh beäugt die kleine Gruftitruppe argwöhnisch

Gegen 11 Uhr früh haben wir uns dann wieder gen Innenstadt begeben und sind ein wenig herumgewandert, zuerst entlang des Hafens, dann rein in die Altstadt um ein wenig zu schauen, stöbern und Bilder zu machen. Die Temepratur in Antwerpen war deutlich höher als in heimischen Gefilden, sodaß mir mit meinem Mantelmonster, welches eigentlich für zweistellige Minusgrade genäht wurde, doch etwas warm wurde, doch etwas später war ich wegen einiger scharfer Brisen eisekalten Windes dann doch glücklich darum, und meine Spiegelreflex war bei gelegentlichen Regenschauern darunter auch sicher und ziemlich wasserdicht aufgehoben.

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Oben: Die Burg Steen am Scheldeufer, das älteste Gebäude in Antwerpen.
Unten: Hafen-Ansichten

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Mit jedem Jahr mag ich die Stadt Antwerpen ein Stückchen mehr. Auch wenn ich heuer nicht viel Neues gesehen habe. Ich mag die Atmosphäre dort, die Altstadt und den Flair den große Städte allgemein so haben – bin eben eine Stadtpflanze im Herzen 😉

Antwerpen ist nicht nur eine Stadt mit Geschichte, sondern auch eine Modemetropole. So läuft man in der Innenstadt zwangsweise an den Schaufenstern bekannter Designer entlang.
Zudem sind viele Schaufenster sehr kreativ dekoriert, besonders auffällig war hier eine größere Fensterfront die in grelles pinkes und blaues Licht getaucht war,den Blick auf Schaufensterpuppen frei gab welche in Anlehnung an die Rokoko-Mode gekleidet waren – jedoch mit Jeans umgesetzt. Sehenswert fand ich das allemal …

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Und auch gegenüber lies ein Schaufenster mein Herz höher schlagen – nicht wegen den Klamotten, sondern wegen den unzähligen antiken Nähmaschinen die die große Glasfront zierten.
Schad daß mein Bild nicht so gut ausgefallen ist, die Reflexionen auf der Scheibe waren leider zu stark.

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Ein Laden erregte unsere ganz besondere Aufmerksamkeit, denn zum „Maison Orange“ gelangte man treppab in verwinkelte Katakomben unter der Fußgängerzone. Dort lauschte man indischer Musik und staunend betrachteten wir das Warenangebot von antiken orientalischen Möbeln. Am liebsten hätten wir dort einziehen wollen … genau die richtige Umgebung für dunkelromantisches Gruftpack 😀

Gegen 15:00 Uhr suchten wir ein Café um eine Kleinigkeit zu Essen und nach dem stundenlangen Laufen mal die Füße ruhen zu lassen – wo wir am Vortag über das lange Sitzen im Auto geschimpft hatten, ging es uns jetzt andersrum – andererseits war Tanja sichtlich angeschlagen.
Blöderweise wussten wir nicht mehr wirklich wo wir uns befanden, und meine Nachfrage bei der Bedienung um eine Wegbeschreibung verursachte erstmal etwas Verwirrung, doch wir stellten dann schnell heraus das wir uns zwar ziellos durch die Gegend bewegt hatten, aber zum Glück dauernd irgendwie im Kreise, sodaß wir auch zügig wieder am Hotel waren. Hilfreich waren auch die Smartphones meiner Mitreisenden, so wenig ich von den Dingern sonst halte, da waren die wirklich nützlich.

Im Hotel angekommen war zwischenzeitlich auch die Dame mit der ich mein Doppelzimmer für die zweite Nacht teilte.
Nachdem wir zwei uns auch ein wenig unterhalten hatten und die Klamotten derweil aufbügelten, war es dann an der Zeit sich für den Abend fertig zu machen.

Das Thema der heurigen Gala Nocturna war „The Virgin Queen“ – in Anlehnung an Königin Elizabeth I, für mich also das perfekte Thema 😉 – neues Gewand gab es aber nur bedingt, ich hatte die Zeit nicht mehr für ein ganz neues Kleid, aber letztenendes war das auch nicht nötig da ich ein noch halbfertiges Gewand im Schrank hatte das ich für den Anlass nach 3-4 Jahren endlich mal fertigmachen konnte. Sowas braucht irgendwie immer ein wenig Termindruck …

Einige Einzelteile musste ich mir von anderen, älteren Gewändern „ausborgen“,doch zum Glück ist elizabethanisches Klamott so modular daß das kein Thema ist.

Wir teilten uns ein Taxi zu sechst zur Augustinuskirche, und waren nicht grade wenig verwirrt als der Fahrer uns mitten in der Stadt zwischen Geschäften und Läden absetzte, denn von einer Kirche war da keine Spur, die Anwesenheit anderer Herrschaften in schönen Kleidern sprach aber dafür daß wir an der richtigen Stelle abgesetzt wurden.
Da wir ein paar Minuten vor 20:00 Uhr ankamen, mussten wir noch ein wenig warten bis sich die gläserne Schiebetür öfnnete und uns Einlaß in eine sehr moderne und karge Vorhalle gewährte, wo Vionas Mann die Kartenkontrolle übernahm.
Durch eine weitere, schon älter aussehende Tür gelangten wir dann schließlich in die eigentliche Kirche, und ich muss gestehen, die neue Örtlichkeit ist wirklich wunderschön und übertrifft die Kapelle in Altena sogar.

Die Kirche füllte sich bald mit Leuten, darunter wie zu erwarten bekannte Gesichter, man sieht sich um, begrüßt alte Bekannte und Freunde, und lässt die ganze Szenerie aus großen Gewändern, farbiger Beleuchtung und der opulenten barocken Kirche die von neoklassischer Musik anfangs noch recht leise beschallt wurde, auf sich wirken. Man taucht ein in eine andere Welt und eine andere Zeit die es in der Geschichte so zwar nicht gegeben hat, aber einen trotzdem mitreißt.

Der Saal wurde weniger voll als ich befürchtet hatte, man hatte immer ausreichend Reifrockfreiheit und es artete zum Glück nicht in die Massenveranstaltung aus die ich befürchtet hatte, auch wenn die Besucher zahlreich vorhanden waren, so drängte man sich nicht dicht an dicht wie das im Vorjahr leider der Fall war. Zwar gab es den gewissen Prozentsatz an „komischen Gestalten“, unter dem Strich hatte ich aber nicht das Gefühl daß es Überhand genommen hatte.

Später begann das Programm des Abends von dem im Vorfeld nichts bekannt gegeben wurde. Heuer bestand es durchweg aus Werken des belgischen Neoklassik-Komponisten Nicholas Lens, eröffnet von einer Live-Darbietung zweier Musikstücke die einem das Blut in den Adern gefrieren lies, so genial war es.
Danach kamen zwei Tanzdarbietungen, einmal Ballett, einmal Tribal, und schon war es Zeit für den „Kostümwettbewerb“.
Letztenendes war diese Geschichte weit weniger spektakulär als erwartet, circa zwei handvoll Damen wurden der Reihe nach auf die Bühne geleitet um einen Knicks vor dem werten Publikum sowie dem „König“ zu machen, welcher am Ende die Gewinnerin auswählte. Fertig.
Einer der Helfer der Veranstaltung kam währenddessen zu mir und meinte „You should be up there!“ – was freilich nett gemeint war doch ich war ganz zufrieden damit mir die Sache aus der Ferne anzusehen.

Der Abend an sich war wieder ganz großartig, die Musikauswahl zwar nicht ganz so brilliant wie im letzten Jahr, aber dennoch absolut gut. Da blieb dann neben dem Tanzbein schwingen auch noch etwas Zeit zum Unterhalten, auch die Lautstärke der Musik war sehr zurückhaltend. Einerseits positiv, andererseits verlangen Stücke wie Wolftribes eine gewisse Mindestlautstärke um anständig zu wirken. Aber ich will nicht motzen, ganz im Gegenteil, denn die Veranstaltung war meiner Meinung nach wieder rundum gelungen, und die leiser gehaltene Musik hatte mit der Stadtinternen Lage auch sicher seine Berechtigung.
Lichttechnisch war es eine Spur zu hell, was aber auch andere Besucher bemerkt hatten.

Das komische Chip-System fürs getränke holen war das Gleiche wie die Vorjahre, was offengestanden auch nervig ist, aber es wird wohl auch da Gründe für geben, etwas ärgerlich war nur daß man nach einer gewissen Uhrzeit für übrig gebliebene Chips weder noch Getränke bekam und diese auch nicht wieder gegen Bares eintauschen konnte. Schätze ich muss die beiden Plastikdinger dann bis zum nächsten Jahr aufheben.

Ein Teil von uns machte sich recht zeitig auf den Heimweg ins Hotel, doch Chris und ich wollten noch nicht gehen. Wir waren zwar hundeelend kaputt, doch aufgeben und gehen war nicht *g*
Wir blieben bis zum Schluss und waren bereit, nach Ausbleiben der Musik in Sitzstreik überzugehen 😀 doch letztenendes half es nichts. Glücklicherweise konnte ich so aber wenigstens Viona nochmal erwischen um Hallo zu sagen und ein paar Worte mit ihr zu wechseln, wie die letzten Jahre über war sie den Abend lang so in Beschlag genommen daß man an sie nicht ran kam.

Bei unserem kleinen Gespräch äusserte sie sich auch eher wenig erfreut über gewisse Umstände des victorianischen Picknickes und die Tatsache daß zu viele Schaulustige und Photographen sowie Poseuren eigentlich nie das waren was sie vorhatte mit der ganzen Sache. Das Picknick sei von Anfang an aus der Idee entstanden daß sich Gleichgesinnte zusammenfinden um tatsächlich gemütlich zusammen zu picknicken und die ganze Atmosphäre zu geniessen, nicht um von einer Kameralinse in die nächste zu rennen.
Schön zu erfahren daß die Initiatorin dieser Sache die Dinge dann genauso sieht wie andere die ihre Kritikpunkte am letzten Picknick ebenso hatten. Ich schätze zwar nicht daß sich viel ändern wird, nicht be etwas so öffentlichem im Rahmen des WGTs.

Derweil hatte sich unser bestelltes Taxi wohl jemand anders gekrallt, denn vor der Tür standen die übriggebliebenen Harten die bis zum Ende durchgehalten haben und warteten schlotternd auf Heimfahrgelegenheit. Ein zweites bestelltes Taxi wurde uns vor der Nase weggeschnappt, doch beim dritten Fahrzeug kamen Chris und ich zum Zuge und endlich ging es ins Hotel Richtung Matratze – beinahe zumindest, denn zuerst mussten Strassteinchen, Wimpern und hartnäckiger Kalk aus dem Gesicht entfernt werden, sowie das ganze Gewand samt Schmuck und Tüddelkram.
Geschlafen habe ich danach jedenfalls gut, meine Mitbewohnerin offenbar auch, denn die bekam von meinem Gewusel nicht wirklich was mit.

Der nächste Morgen wurde zuerst mit erstem Einpacken, dann mit Frühstück begonnen. In unserem Hotel hatte sich noch eine weitere schwarzgewandete Gruppe eingemietet, die wir jedoch nicht kannten.
Wie jedes Jahr wurde das Frühstück und das Auschecken über die offizielle Zeit bis zu der man aus den Zimmern raus hätte sein müssen etwas gezogen – bisher hatte da aber auch niemand vom Hotel was dagegen, und inzwischen kennt man sich ja auch schon …

Gegen 12:00 Uhr waren wir dann wieder unterwegs gen Heimat. Diesmal waren ein paar Zwischenstops mehr nötig. Die Fahrt zog sich dann etwas und so kamen wir in der Dunkelheit zuhause an. Zum Auspacken zu kaputt, nur das Seidengewand wurde schnell verstaut, brauchte es nur ein Glas Wein und das heimische Sofa um auf der Stelle wegzupennen.

Fazit: Positive Überraschungen sind eine schöne Sache – hätten sich meine Befürchtungen bewahrheitet wäre es vielleicht meine letzte Gala Nocturna geworden.
Der Abend war gelungen in jeder Hinsicht und die Besucherzahl genau richtig.
Der kleine Trip war ein schöner Mini-Urlaub in einer schönen Stadt, mal kurz durchschnaufen zwischen dem Alltag.
Jetzt freue ich mich aufs WGT 🙂

Bilder von der Gala direkt habe ich selbst nicht gemacht – zumindest nicht mit meiner Kamera.
Dafür hat Martin Small von SoulStealer.co.uk eine Menger großartiger Impressionen mitgebracht, alle Bilder davon sind auf seinem Flickr-Set anzusehen.

Zuletzt nochmal meinen Dank an Viona für das schöne Bild:

Gala Nocturna

Die Geschichte des Reifrockes

Das neue Jahr beginnt garnicht mal schlecht, insbesondere für meinen Blog, dessen Aufrufe in den letzten Tagen doch deutlich nach oben gingen.
Freilich lagen viele Zugriffe am Posten der neuesten Artikel in Facebook und Myspace, doch auch via Suchmaschine verirren sich die Tage deutlich mehr Besucher hier her.
Unangefochtene Nummer Eins der Suchbegriffe ist hierbei eindeutig die Gala Nocturna, die sich heuer zum fünften Male jährt, und entsprechend natürlich Informationssuchende anzieht, doch ein Suchbegriff weckte mein besonderes Interesse: „Ursprung des Reifrockes“
Nicht nur als begeisterter Strassensperren-Träger, sondern auch weil mich das Thema einmal in meine Lieblingsepoche – die Renaissance – führt, und die Sache natürlich auch mit einem großen Hobby von mir zu tun hat – der Modegeschichte – widme ich mich heute diesem Thema.

Ein Reifrock ist allgemein gesagt ein Rock der mithilfe von Holz, Fischbein, Stahlreifen oder in modernerer Variante Plastikreifen, in seiner mehr oder weniger ausgestellten Form aufgespannt wird, und so vom Körper wegsteht.
Über die Jahrhunderte hat sich die Form und Bauweise immer wieder gewandelt.

Der Ursprung des Reifrockes liegt im Spanien der 1470er, wo der sogenannte „Verdugado“ zunächst als Teil der Oberbekleidung getragen wurde. Zur Stütze wurden zunächst das subtropische Pfahlrohr, oder auch spanisches Schilf genannt, verwandt, später Weidenruten. Dieser Ur-Reifrock war anfangs Teil der Oberbekleidung, die Tunnel die die Reifen hielten waren auf der Aussenseite des Rockes aufgesetzt, wie das folgende Bild zeigt, welches als die früheste Darstellung des Verdugado gilt, und ebenfalls spanischen Ursprungs ist:

Verdugado

Der Name „Verdugado“ soll hierbei von „verdugo“ abstammen, mit dem ein grüner Baumtrieb gemeint ist, denn aufgrund der Steifigkeit des ausgewachsenen Pfahlrohres hat man ursprünglich die flexibleren jungen Triebe dieser Pflanze verwandt. Sieht man sich die moderne Übersetzung dieses Begriffes an, so bekommt man „Scharfrichter“ oder „Henker“ – interessant, dürfte aber mit dem Reifrock nichts mehr zu tun haben ;).
Das deutsche Wikipedia nennt als Bedeutung für „Verdugado“ den „Tugendwächter“. Dabei dürfte es sich nicht um eine direkte Übersetzung des Begriffes handeln, sondern wohl eher um einen Ausdruck der im deutschen Sprachgebrauch für diesen Reifrock üblich war. Beweise für diese Spekulation habe ich nicht gefunden, wer da näheres weiß darf sich gerne zu Wort melden 🙂 – auch habe ich direkt unter diesem Begriff keine Hinweise auf den Reifrock finden können. *

Ein Gerücht beasgt daß der Reifrock erfunden wurde um die Schwangerschaft von Johanna von Portugal zu verbergen – doch keine brauchbaren Quellen bestätigen das.

Es wird gesagt daß der Reifrock um 1520 den Weg in die Mode am englischen Hof fand, durch die Spanierin Katharina von Aragon, Frau von Heinrich VIII.
Belegt ist dies nicht, aber um 1530 tauchte der Reifrock auch in England vermehrt in der Mode auf, zunächst als „vardingal, fardyngale“ oder „verthingale“ bezeichnet, setzte sich die Bezeichnung „Farthingale“ durch.

Prinzessin Elizabeth

Als Versteifung der Röcke wurde nun vermehrt Fischbein verwandt (auch Kordelversteifung wird in historischen Quellen erwähnt), die Farthingale wanderte als Unterrock unter die Oberbekleidung. Diese spanische Farthingale hat im Prinzip die gleiche Form wie der gemeine moderne Brautreifrock – konisch nach unten ausgestellt. Die sogenannte Tudor-Mode zeigt deutlich die damals modische Körperform, die an zwei an den Spitzen aufeinanderstehende Kegel erinnert. Dabei wurde der Oberkörper mit versteiften Oberteilen oder Schnürleibern „in Form“ gehalten.

Diese Silhouette zeigt auch das obenstehende Portrait von Elizabeth I – spätere Königin von England – hier im Alter von 13 Jahren, als Prinzessin.

Auch wenn die Form den neumodischen Reifröcken optisch gleich, so ist die Bauweise eine andere. Es gibt zwar keine erhaltenen Exemplare dieser Farthingales, doch eine brauchbare Anweisung zur Herstellung eines solchen spanischen Reifrockes findet sich in einem erhaltenen spanischen Schneiderbuch das auf 1598 datiert ist – „Libro De Geometria, Pratica Y Traca“ von Juan de Alcega .

Die interessierten Selbernäher finden eine brauchbare Anleitung, basierend auf oben genanntem Buch, hier: http://www.chesholme.com/~jack/farthingale/, in englischer Sprache.

Gegen Mitte des 16. Jahrhunderts kam die Mode auf, über der spanischen Farthingale zusätzlich eine ausgestopfte Rolle auf Taillenhöhe zu tragen – der sogenannte „Weiberspeck“ oder englisch – „bumroll“. Dieser gab den stoffreichen Röcken eine gerundetere Silhouette.
Wer sich die große, versteifte Farthingale nicht leisten konnte, ahmte die Mode der adligen Gesellschaft nach indem der Weiberspeck alleine als Rock-Unterstützung getragen wurde.
Diese neue Mode erntete, genauso wie die Farthingale an sich, natürlich auch ihren zeitgenössischen Spott:

Weiberspeck

Die spanische Farthingale wurde, bedingt durch den immer größer werdende Weiberspeck zur sogenannten französischen Farthingale, auch bezeichnet als „Verdugadin“. Dieser „Reifrock“ hatte mit der spanischen Variante nicht mehr so viel gemein, denn anstatt den Röcken bis zu den Füßen Halt zu geben, stand er nun als flache Scheibe gerade von der Taille weg, gegen Verrutschen gesichert am Schnürleib festgebunden. Entsprechend künstlich-übertrieben zeigte sich die dazugehörige französische Mode der 1590er, wie im Ditchley-Portrait von Elizabeth I:

Königin Elizabeth

Auch für die französische Farthingale gibt es keine erhaltene Originale, an denen man Material und Bauweise studieren könnte, eine mögliche Konstruktion wird von Janet Arnold in „Patterns of Fashion – 1560-1640“ vorgestellt, welche auf zeitgenössischen Darstellungen basiert. Die bekannteste davon ist eine Kostümzeichnung des Ballettes „Les Esperducattis“, auf der Tänzer mit einer scheibenartigen Konstruktion um die Taille zu sehen sind, welche an das moderne Teller-Tutu erinnern, als auch Darsteller die Röcke über diesem Gestell tragen.
Diese Darstellung findet sich ebenfalls in Janet Arnolds „Patterns of Fashion – 1560-1640“.

Im beginnenden 17. Jahrhundert (modegeschichtlich betreten wir hier den Barock) hielt sich die Farthingale noch eine zeitlang in der höfischen Mode. Doch der Reifrock verlor in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zunächst seine Bedeutung. Lediglich am spanischen Hof blieb der Reifrock noch bis über die Mitte des 17. Jahrhunderts hinaus, und erfuhr hier nochmal eine Wandlung die in vielen Gemälden des spanischen Malers Diego Velásquez zu sehen ist, wie auch auf einem der vielleicht bekanntesten Werke – „Las Meninas“ -1656–1657

Las Meninas

Im Übrigen bin ich seit Jahren schon dabei mir das Gehirn zu verbiegen, wie man einen Reifrock am besten konstruieren kann, um diese querovale Silhouette zu erzeugen, Die Rokoko-Variante scheidet eigentlich aus, und über diese bin ich auch informiert 😉 wer sachdienliche Hinweise hat, dem wäre ich zu großem Dank verpflichtet um eine Nachricht.

So, hier endet der erste Teil meiner Geschichte rund um den Reifrock. Beim nächsten mal begeben wir uns ins 18. Jahrhundert – Rokoko – und bewegen uns von da aus weiter durch die Modegeschichte. Ob es genauso ausführlich werden wird kann ich nicht versprechen, da „meine“ Epoche nunmal das späte 16. Jahrhundert bis ins frühe 17. Jahrhundert ist, aber ich werde mich bemühen 🙂

Kommentare und Anmerkungen sind immer willkommen – insbesondere falls mir doch historischer Mist unterlaufen sein sollte, um Berichtigung bin ich da immer dankbar, aber bitte – mit wissenschaftlich belegbarer Quelle, damit ich sicher sein kann daß die Informationen stimmen 🙂 – denn auch meine Leser sollen verlässliche Informationen bekommen.
Auch Zusatzinformationen werden immer gerne entgegen genommen.

Bilder: Wikimedia Commons

Bücher:
http://www.amazon.de/Patterns-Fashion-1560-1620-v-3/dp/0333382846/ref=sr_1_4?ie=UTF8&qid=1294130012&sr=8-4
http://www.amazon.de/Corsets-Crinolines-Norah-Waugh/dp/0878305262/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1294130086&sr=1-1

Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Reifrock
http://en.wikipedia.org/wiki/Farthingale
http://www.elizabethancostume.net/farthingale/history.html
http://des.kyhm.com/?farthhist

* : Lediglich ein – zugegeben – nicht sehr gut recherchierter Artikel der offenbar bei der Wortbedeutung das deutsche Wikipedia zitiert, dazu noch als Schönheitsideal der Renaissance fälschlicherweise die „Weiblichen Rundungen“ nennt, und als bildliche Quelle eine Darstellung des Rokoko herzieht, findet man – ein toller „Nachweis“ der nicht mal wissenschaftlich genug ist Quellen zu zitieren *hust* – auch wenn Informationsfetzen richtig sind, der gesamte Artikel ist irreführend!